Papier ist geduldig, sagen die Menschen. Und damit haben sie recht. Papier beschwert sich nicht, Papier kritisiert nicht. Es liegt einfach nur da und lässt sich von mir beschmieren. Mit Sätzen, Bruchstücken aus Gedichten, Zitaten, Sorgen, Erlebnissen, Erfolgen, Misserfolgen und Ängsten.
Auf Papier lassen sich unsere düstersten Geheimnisse aufbewahren und wir können sicher sein, dass es uns nicht verrät. (Außer, wir lassen es offen herumliegen – aber das steht auf einem anderen Blatt.)
Heute möchte ich dir meinen liebsten Begleiter vorstellen: Mein Tagebuch. Oder Journal. Oder Gedankenschatztruhe. Wie man es auch immer nennen möchte.
Du erfährst in diesem Blogbeitrag
- was der Unterschied zwischen Tagebuch und Journal ist
- warum meine Gedankenschatztruhe beides ist
- wie und warum ich angefangen habe, Notizbücher mit Gedanken zu füllen
- auf welche kleine Tradition ich mich an meinem Geburtstag besonders freue
- warum meine Notizbücher meinen Blog nicht ersetzen und umgekehrt
Was ist der Unterschied zwischen Tagebuch und Journal?
Im Grunde genommen ist es ganz einfach, die beiden Bücher auseinanderzuhalten.
Ein Tagebuch beinhaltet Erlebnisse und berichtet – wie der Name schon vermuten lässt – von unserem Tag. Wir können es täglich führen, oder auch nur gelegentlich, wenn etwas Spannendes vorgefallen ist. Grundsätzlich beschäftigt sich ein Tagebuch aber eher mit unserer Vergangenheit und wird dazu verwendet, Ereignisse festzuhalten, die man nicht vergessen möchte.
Ein Journal beinhaltet unsere Gedanken in der Gegenwart. Wir „downloaden“ unsere Gedanken und halten sie schriftlich fest, ordnen sie, verschaffen uns einen Überblick. Ein Journal ist eher dafür da, sich persönlich weiterzuentwickeln und sich selbst zu reflektieren.
Meine Gedankenschatztruhe ist beides, ein Tagebuch und ein Journal. Ich schreibe einfach alles hinein, was mich umtreibt, sowie alles, was ich für so wichtig und interessant halte, dass ich es nicht vergessen möchte. Denn ich weiß, dass es Zukunfts-Ich eines Tages gefallen wird, in diesen Seiten zu schmökern.
2010 fiel der Startschuss
„Das Wichtigste im Leben ist, reinen Gewissens in den Spiegel schauen zu können.“
Diese Zeilen schrieb ich am 3. Mai 2010 gegen 19:30 Uhr in meine erste Gedankenschatztruhe. Ich war damals gerade 20 Jahre alt und hatte Sorgen, die man einem so jungen Menschen nicht wünscht. Ein paar Monate vorher war ich aus der Religionsgemeinschaft meiner Familie ausgestiegen und das Verhältnis zu meinen Verwandten war dadurch – gelinde gesagt – angespannt.
Das Schlimme: Ich wohnte zu dieser Zeit noch bei meinen Eltern, vermied es aber so gut es ging, ihnen zu begegnen. Oft ging ich hungrig ins Bett, weil ich mich nicht traute, am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen. Ich hatte Angst vor Streit und dem nagenden Gefühl, nicht mehr dazuzugehören.
Genau darum dreht sich auch der erste Eintrag. Und ich wusste damals noch nicht, dass ich in diesem ersten Notizbuch ganze sieben Jahre festhalten würde. Ich schrieb nicht täglich hinein, nur gelegentlich. Aber alle wichtigen Gedanken konservierte ich für die Nachwelt.
Wenn ich mich wieder einmal einsam wie Robinson Crusoe gefühlt habe, nahm ich einfach meine Gedankenschatztruhe hervor, blätterte durch die Seiten und ließ meinen Schmerz hineinfließen.
Und mit der Zeit wurde das Notizbuch immer voller und voller …
Eins? Nein, es sind vier!
Meine erste Gedankenschatztruhe nutze ich vom 3. Mai 2010 bis zum 12. Juni 2017. Dann war das Notizbuch voll und ich habe ein Zweites gebraucht. Während ich das erste noch in Geschenkpapier eingebunden hatte, damit es einigermaßen hübsch aussieht, war das zweite Buch eine wahre Augenweide.
Handgemacht, in schwarzem Leder, mit einem silbernen Metalldrachen, um den man eine Schnur wickeln konnte, damit das Notizbuch geschlossen blieb. Dieses wunderschöne Buch hatte ich auf einem Mittelaltermarkt erworben, der jedes Jahr in der Adventszeit die Menschen anzog wie ein Magnet Eisenspäne. Das Buch war teuer. Aber eben auch etwas ganz Besonderes.
Ich benutzte es vom 19. Juni 2017 bis zum 5. Juli 2019, dann war auch dieses Buch voll und ich begann am 9. Juli 2019 ein Drittes mit schlichtem schwarzem Einband.
Dieses weihte ich während einer Deutschlandrundreise mit meinem damaligen Freund ein. Ein spannender Beginn und deutlich fröhlicher, als noch 2010. Ich schrieb jeden Tag ganz genau auf, was wir erlebt haben. Heute in diesen Seiten zu blättern ist, als würde ich die Reise erneut antreten.
Das dritte Notizbuch endet mit dem Eintrag vom 18. Januar 2021. Vier Tage später habe ich ein Neues angefangen – und in das schreibe ich bis heute.
2018 habe ich mir an meinem Geburtstag zum ersten Mal einen Brief geschrieben. Dieses kleine Ritual habe ich bis heute beibehalten. Jedes Jahr an meinem Geburtstag schreibe ich mir selbst einen Brief, den ich dann ein Jahr später, am nächsten Geburtstag, lese und beantworte. Den neuen Brief bewahre ich dann ein Jahr zugeklebt auf. Öffnen ist erst am Geburtstag erlaubt. Besonders spannend ist, jedes Mal zu erkennen, wie enorm ich mich im vergangenen Lebensjahr weiterentwickelt habe.
Probleme, die mir in einem Jahr noch unüberwindbar vorkamen, waren im nächsten möglicherweise gar nicht mehr vorhanden. Ich habe Schritte gemacht, die ich mir zuvor niemals zugetraut hätte. Und gleichzeitig habe ich neue Dinge entdeckt, die mich faszinieren und denen ich mich glutvoll widme.
Ich erwähne diese Briefe, weil ich sie zwischen den Seiten meiner Gedankenschatztruhen aufbewahre. Ebenso andere Notizen und lose Blätter, auf denen ich Dinge festgehalten habe: Zukunftsvisionen, Träume, Ideen, Gedichte, Zeichnungen, Journaling Prompts.
Aber wenn ich meine Gedankenschatztruhe habe, brauche ich dann überhaupt noch meinen Blog?
Gedankenschatztruhe oder Blog?
Wenn man mich vor die Wahl stellen würde, ob mir mein Blog oder die Gedankenschatztruhen wichtiger seien, wäre ich so ratlos wie eine Mutter, die sich zwischen ihren Kindern entscheiden müsste.
Hast du es satt, dich ständig zu verbiegen?
Mein Newsletter hält dich nicht nur über alle Neuigkeiten und neue Beiträge auf still & sensibel auf dem Laufenden, sondern zeigt dir auch, wie du dich auf deine stille und sensible Art selbst annehmen und lieben lernen kannst.
Beides ist mir wichtig. Aber auf unterschiedliche Art und Weise.
Meine Notizbücher sind für mich da, wenn sonst niemand für mich da ist. Sie beinhalten meine Geheimnisse und Sehnsüchte, Visionen und Träume, über die ich niemals mit einem anderen Menschen sprechen würde. Zumindest nicht so aufrichtig und ehrlich, wie ich das in meiner Gedankenschatztruhe mache. Man kann also sagen, diese Bücher sind ein Abbild meines Innersten.
Mein Blog ist hingegen mein Sprachrohr nach Außen. Auf meinem Blog teile ich meine innere Welt mit anderen, aber natürlich nur so viel, wie mir angenehm ist. Manchmal wird es hier sehr persönlich. Dann gibt es wieder Tage, da schreibe ich eher sachlich und möchte mit meinen Beiträgen vor allem Wissen vermitteln.
Wofür ein Blog gut ist
Meinen Blog brauche ich aber genauso dringend wie meine Notizbücher. Gäbe es meinen Blog nicht, dann wäre ich so abgeschirmt in meiner kleinen Intro-Welt, dass ich irgendwann verkümmern würde, wie ein ungegossenes Blümchen.
Ich bin ja überzeugt, dass ein Blog ebenfalls bei der Persönlichkeitsentwicklung helfen kann. Genauso wie ein Journal oder Tagebuch. Während man Letztes hauptsächlich dazu nutzt, um seine Gedanken rauszulassen und Lösungen zu finden, hilft ein Blog dabei, sich in der Interaktion mit anderen weiterzuentwickeln.
Man bekommt Feedback, teilt die eigenen Überzeugungen mit der Welt und wird so mutiger, zu sich selbst und seinen Prinzipien zu stehen. Denn das kann man nur lernen, wenn man sich anderen Menschen gegenüber öffnet. Und wenn es erst nur ein kleiner Spalt ist, durch den man in die Außenwelt lugt. Es lohnt sich. Mit der Zeit wird man die Seelentür ein Stückchen weiter aufmachen – und vielleicht den einen oder anderen Menschen hineinlassen.
Fazit: Ein Blog ersetzt kein Notizbuch
Und umgekehrt. Aber beides in Kombination hilft gerade uns Introvertierten, mit uns selbst ins Reine zu kommen, uns anzunehmen und lieben zu lernen. Und das ist das Schönste, was einem Menschen passieren kann.
Schlussgedanken
Dieser Blogbeitrag ist im Rahmen der 22. Blognacht von und mit der lieben Anna Koschinski entstanden. Sie hatte uns den Impuls „Mein liebster Begleiter“ gegeben. Und da meine Gedankenschatztruhen mich bereits seit über 12 Jahren begleiten, wollte ich dir davon berichten.
Jetzt interessiert mich natürlich: Schreibst du auch Tagebuch? Oder Journal? Oder beides? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen. 💛
War das cool? Dann gefällt dir vielleicht auch das:
Vielen Dank für deine tolle Auseinandersetzung zu dem Thema. So hab ich da noch nie drüber nach. Ich habe noch kein Tagebuch und auch kein Journal. Ich glaube, es würde mir aber sehr gut tun. Also auch beides zu schreiben. Als Kind habe ich schon mal ein Tagebuch geführt, es aber nie weitergeführt.
Vielleicht fang ich jetzt mit 51 endlich damit an.
Ich hatte mal die Idee mir etwas wie einen Fragebogen zum Ausfüllen als „Hilfs-Krücke“ auszudenken.
Dann werde ich da wohl mal näher drüber tüfteln 😊
Liebe Grüße
Dani
Sehr gerne, Dani. Danke für deinen Kommentar.
Ja, ich kann es dir nur empfehlen. Es tut meistens gut, sich die Gedanken aus dem Kopf zu schreiben. Das befreit und gleichzeitig hat man sie für das Zukunfts-Ich „konserviert“.
Übrigens gibt es auch Blogs, die sogenannte „Journaling Prompts“ anbieten. Das sind Fragen oder Inspirationen fürs Journaling, die manchmal auch ganz schön tiefgründig sein können. Ganz toll finde ich zum Beispiel die von https://seekingserotonin.com/ (die sind allerdings auf Englisch!).
Liebe Grüße
Mim
Schöner Beitrag, vielen Dank! 😊
Sehr gerne, Susanne. Freut mich. Danke dir. 🙂
Liebe Mim,
Ich schreibe mit Unterbrechung seit 2017 wieder Tagebuch/Journal. Davor von 1988-19xx, das ist eine lange Zeit. (Gebloggt von 2004 bis 2010). Vor allem sieht man die Veränderung in den Gedanken.
Ich finde es wunderbar, dass du deine „privaten“ Gedanken hier öffentlich (habe über LinkedIn hergefunden) stellst und kommentierbar machst.
Alles Liebe Silke
Hallo liebe Silke,
vielen Dank für deinen Kommentar. Das ist klasse, dass du schon so lange deine Gedanken niederschreibst. Ich finde auch, dass man die Veränderung sieht und das ist total spannend. Manchmal, wenn ich meine verzweifelten Einträge von 2010 und den Jahren danach lese, möchte ich mein Vergangenheits-Ich einfach in den Arm nehmen und sagen, dass am Ende schon alles wieder gut wird.
Übrigens freut’s mich total, dass du hierher gefunden hast. 🙂
Alles Liebe,
Mim
Liebe Mim
Danke für den beeindruckenden Wandel, auf dem du uns, selbst über diesen kurzen Blogartikel, mitnimmst. Du zeigst wunderbar auf, wie das Schreiben dir geholfen hat, durch schwierige Situationen hindurch zu gehen. Mit der Zeit werden die Notizen zur Schatztruhe, wie du sie treffend nennst. Im Rückblick erkennst du Entwicklungen, hast schöne Erinnerungen festgehalten, kannst dein Leben reflektieren und wachsen. Ich bewundere deine Schreib-Kraft und die Konstanz, mit der du sie pflegst.
Früher führte ich gerne Reisetagebücher. Oft sass ich in einem Café auf einer Plaza in Spanien und hielt die Eindrücke fest. Welche Geräusche gab es? Wie waren das Licht, die Farben? Welche Schwierigkeiten hatten die jungen Japanerinnen am Nebentisch, die sevillanische Speisekarte zu entmystifizieren? Zwischendurch finden sich Skizzen in meinen Reiseberichten. Nicht von mir gemalt, sondern von Weggefährten, die ich irgendwann kennen lernte, die mit mir am Tisch, auf der Wiese sassen. Sie fragten, was ich da schreiben würde. Und begannen, Bleistiftzeichnungen in meinem Buch zu erstellen, von dem, was ich da geschrieben hatte. Manchmal wurden es auch „Co-Kreationen“. Die Berichte und Skizzen sind heute, Jahre danach, interessante Zeitzeugen.
Leider habe ich das nicht konsequent und regelmässig gemacht. Und so sind manche Erinnerungen nur in meinem Kopf. Oder verloren…
Hallo liebe Chris,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar.
Ja, ich finde im Schreiben einfach Erfüllung und das Gefühl, etwas Sinnstiftendes zu tun. Und wenn es nur dazu dient, meine momentanen Gedanken und Gefühle für die Zukunft festzuhalten. Wir vergessen ohnehin viel zu viel – was ja auch okay ist, da unser Kopf sonst wohl heißlaufen würde. 😀
Wow, das mit den Reisetagebüchern hört sich klasse an. So etwas habe ich selten gemacht. Einmal nur, habe ich mich an der Nordsee hingesetzt und aufgeschrieben, wie es ist, am Strand zu sein. Was ich höre, fühle, rieche, schmecke. Ansonsten habe ich manchmal aufgeschrieben, was wir unternommen haben. Aber ohne die Sinne einzusetzen. Das ist schade, ich wünschte, ich hätte das öfter gemacht und dass du das getan hast, inspiriert mich gerade sehr. Und diese Bleistiftzeichnungen, von denen du berichtest, sind natürlich etwas ganz Besonderes. Hast du denn noch Kontakt zu diesen Weggefährten?
Alles Liebe,
Mim
Liebe Mim,
danke für deinen Beitrag. Besonders inspiriert hat mich die Idee, dass du dir an deinem Geburtstag immer einen Brief schreibst. Ich glaube das probiere ich auch mal aus. Ansonsten schreibe ich selbst, seitdem ich ungefähr 14 bin, regelmäßig Tagebuch. Früher lag mein Fokus mehr auf den Dingen, die mich traurig machten. Mittlerweile nenne ich mein Tagebuch „Erkenntnis-Tagebuch“. Dort kommen alle Learnings, Aha-Momente, Dinge, die ich feiere und die funktioniert haben rein.
Herzensgrüße
Mascha
Liebe Mascha,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich sehr, dass dich meine Geburtstagsbriefidee so inspiriert. 🙂 Ich kann’s dir nur ans Herz legen, das mal auszuprobieren. Für mich ist das schon eine kleine Tradition, auf die ich mich jedes Jahr erneut freue. 🙂
Oh, toll, hast du deine alten Teenie-Tagebücher denn noch? Tatsächlich ist mein erstes Journal auch ziemlich düster, weil ich meist nur dann reingeschrieben habe, wenn’s mir schlecht ging. Aber inzwischen finden sich auch positive Einträge darunter. Deine Idee mit dem „Erkenntnis-Tagebuch“ gefällt mir gut. Ich habe noch ein separates „Erfolgstagebuch“, das ich wohl so ähnlich führe. Allerdings schreibe ich da nicht regelmäßig rein.
Herzliche Grüße
Mim
Liebe Mim, ich schreibe weder das eine, noch das andere. Aber ich blogge. Und ich habe mir schon mehrfach überlegt zu jounalen oder zu tagebuchen. Ich denke aber, ich würde es nicht durchhalten. Es kostet Zeit, von der ich ja so schon zu wenig habe. LG Steffi
Hallo liebe Steffi,
vielen Dank für deinen Kommentar. Finde ich super, dass du bloggst. 🙂 Wegen des Durchhaltens: Ich mache das auch nicht regelmäßig, sondern immer nur dann, wenn ich das Bedürfnis danach habe, in mein Journal zu schreiben. Deshalb betrachte ich die Zeit, die ich dafür investiere, auch als Zeit, die ich in mich selbst investiere. Weil es mir danach besser geht und es mir einfach guttut. Deshalb kann ich dir nur raten, in dich selbst reinzuhören, ob da das Bedürfnis danach ist, deine Gedanken aufzuschreiben. Und wenn ja, probier’s aus. Wenn nein, hast du sicher andere Methoden, um deine Gefühle zu verarbeiten. 🙂 Wichtig ist nur, dass du es ohne Druck tust, denn du machst das ja für dich selbst und sonst niemanden. 🙂
Ganz liebe Grüße
Mim