Warum Introvertierte häufiger schüchtern sind

darum sind Introvertierte häufiger schüchtern

Triggerwarnung: Schüchternheit, Psychische Krankheiten, Mobbing

Erst mal vorneweg: Introvertiert und schüchtern zu sein, ist nicht dasselbe. Es gibt einen großen Unterschied.

Dennoch gibt es mehr schüchterne Introvertierte als schüchterne Extrovertierte. Woran liegt das?

In diesem Blogbeitrag verrate ich dir

  • warum wir Introvertierte generell ängstlicher sind – und dafür gar nichts können
  • wieso der Grundstein für Schüchternheit oft schon in unserer Kindheit gelegt wird
  • inwiefern die Pubertät für uns noch anstrengender ist als für extrovertierte Teenies
  • was der ständige Druck mit uns anstellen kann
  • wie wir Hilfe finden und was dabei zu beachten ist

Biologische Faktoren: unser Gehirn tickt anders

Hast du gewusst, dass die Gehirne von Introvertierten und Extrovertierten unterschiedlich ticken?

Der Bereich in unserem Hirn, der für unsere Gefühle zuständig ist, heißt limbisches System. Dort befindet sich die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Die Amgydala ist das „Angstzentrum“ und sorgt dafür, dass Gefahren richtig eingeschätzt werden. Bemerkt die Amygdala eine Bedrohung, schickt sie Signale an das vegetative Nervensystem. Der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt – und der Mensch hat Angst.

Amygdala bei Introvertierten aktiver

Forscher haben herausgefunden, dass die Amygdala bei Introvertierten empfindlicher ist als bei unseren extrovertierten Mitmenschen. Das sorgt dafür, dass wir vorsichtiger und vorausschauender reagieren, schneller in Stress geraten und eher nicht nach dem Motto „No Risk, No Fun“ leben.

Die Amygdala reagiert auch sensibler auf alles Neue, was uns begegnet – inklusive fremden Menschen. Darum sind Introvertierte meist nicht diejenigen, die sofort auf andere zugehen oder ein großes Bedürfnis danach haben, möglichst viele neue Bekanntschaften zu schließen.

Wir können also gar nichts dafür, dass wir generell ängstlicher sind als Extrovertierte. Wir sind nun mal so gestrickt und das ist auch vollkommen okay.

Psychologische Faktoren: „Du musst extrovertierter werden!“

Es gibt aber auch noch einen anderen wichtigen Grund, warum viele Introvertierte zu Schüchternheit neigen. Nicht nur die Biologie hat hier ihre Finger im Spiel, sondern auch die Psyche.

Introvertierte werden oft nicht akzeptiert. Schon im Kleinkindalter bekommen sie vermittelt, dass ihre ruhige Art etwas Schlechtes ist. Und je älter sie werden, desto mehr zweifeln sie an ihrer Natur und Persönlichkeit.

Introvertierte in der Kindheit

Wer hat im Kindergarten die Hosen an?

Genau, die lauten und wilden Kinder! Nicht die Ruhigen und Sensiblen, die sich selbst bei strahlendem Sonnenschein lieber in die Bilderbuchecke verziehen oder beim Malen so in sich selbst versunken sind, dass sie nichts mehr vom bunten Treiben um sie herum mitbekommen.

Immer wieder müssen sie sich anhören, dass sie sich nicht so zurückziehen und mehr mit anderen Kindern spielen sollen.

„Geh mal raus! Stubenhocken ist nicht gut für dich!“

Na, kennst du den Spruch auch?

In der Schule geht es damit weiter. Möglicherweise schreibt das introvertierte Kind gute Noten, hat Spaß am Lernen und vielleicht auch ein, zwei beste Freunde gefunden. Aber weil es sich selten im Unterricht meldet und den „lauten“ Kindern den Vortritt lässt, wird es mündlich schlechter bewertet, was seinen Notenschnitt deutlich herunterziehen kann.

Introvertierte in der Jugendzeit

Irgendwann kommt dann die Pubertät. Eine extrem harte Zeit! Man beginnt, sich zu der Persönlichkeit zu entwickeln, die man später als Erwachsener einmal sein wird. Das war für mich das Alter, wo ich zum ersten Mal so richtig das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören.

Mitschüler verabreden sich zu Partys, bei denen reichlich Alkohol fließt. Meist für Introvertierte nicht sehr verlockend. Sie nutzen das Wochenende lieber zur Erholung. Und zwar am liebsten allein. Dafür werden sie schief angesehen und als „Spaßbremsen“ und „Langweiler“ abgestempelt. Möglicherweise werden sie sogar gemobbt und ausgeschlossen.

„Keiner liebt mich …“

Die Themen Dating und Sexualität kommen auf – etwas, womit sich viele Introvertierte schwertun. Wer mit siebzehn noch Single und Jungfrau ist, wird ausgelacht und verspottet. Der Druck, mithalten zu müssen, ist enorm.

Manche Introvertierte gehen deshalb Beziehungen ein, die ihnen nicht guttun – nur um nicht als „Loser“ dazustehen. Andere sehnen sich nach Liebe, trauen sich aber nicht, auf das bevorzugte Geschlecht zuzugehen.

Kleine Anekdote: Auf einer Klassenfahrt fragte mich einmal eine Mitschülerin, wie viele Beziehungen ich schon gehabt habe.
Ich schluckte kurz und antwortete: „Noch keine.“
Sie reagierte völlig ungläubig und überrascht, als hätte ich ihr gerade einen Mord gestanden. Dabei waren wir zu diesem Zeitpunkt gerade einmal dreizehn Jahre alt.

Damals habe ich die Situation als furchtbar peinlich empfunden und hatte wieder einmal das Gefühl, eine Nachzüglerin zu sein und niemals einen Freund zu finden. Wer sollte so ein schüchternes Mauerblümchen wie mich schon wollen? Rückblickend kann ich zum Glück sagen, dass es auch für stille Menschen das perfekte Gegenstück gibt. Also, nicht den Kopf in den Sand stecken.

Introvertierte in Studium und Beruf

Wenn wir dann unsere Kindheit und Jugendzeit überstanden haben, folgen Studium, Ausbildung und Beruf. Auch da haben es Introvertierte schwer. Aufgrund unserer ruhigen Natur werden wir oft als weniger kompetent und belastbar, ja mitunter sogar als faul eingestuft.

Dabei sind Introvertierte in der Regel überhaupt keine faulen oder gar inkompetenten Menschen. Wir arbeiten nur lieber allein, als in einem Team (was aber nicht heißt, dass wir grundsätzlich nicht teamfähig sind) und gehören nicht zu denen, die bei einem Meeting am lautesten mitdiskutieren.

Wir sind ständig dabei, uns zu rechtfertigen, zu kämpfen und verzweifelt zu versuchen, uns zu ändern. Denn so wie wir sind, sind wir ja nicht okay. Das hat man uns schließlich schon im Kindergarten eingeimpft …


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Es bleibt nicht ohne Folgen

Durch diesen Druck, genauso gesellig und „laut“ wie Extrovertierte sein zu müssen, entwickeln viele Introvertierte Angst vor sozialen Situationen. Sie werden schüchtern.

Die gute Nachricht: Schüchternheit kann man überwinden.

Die schlechte Nachricht: Das braucht Zeit und eventuell auch Hilfe von außen.

Glücklicherweise gibt es im Zeitalter des Internets eine Menge Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen. Angefangen von Online-Kursen, über Coachings und Mentorings, bis hin zu psychologischen Beratungsstellen, die in vielen Städten angeboten werden.

Und natürlich gibt es online auch ein riesiges Angebot an Informationen, wie man Schüchternheit am besten überwindet. Sei es in Form von Videos, Blogartikeln, Podcasts, Büchern oder Inhalten auf Social Media.

Wenn dich der Druck krank macht

Manche trifft es aber schlimmer und sie entwickeln nicht nur Schüchternheit, sondern eine Sozialphobie, Angststörung, Sucht, Essstörung, Depression, Zwangsstörung, Schlafstörung oder andere psychische Erkrankung. Auch psychosomatische Symptome, wie z. B. Kopf- oder Bauchschmerzen können auftreten.

In dieser Situation findest du Hilfe in einer Psychotherapie und/oder einer medikamentösen Therapie. Je nach Ausprägung deiner Erkrankung kannst du ambulant, teilstationär (Tagesklinik) oder stationär behandelt werden.

Es ist hierbei wichtig, dass das therapeutische Fachpersonal dich versteht und du dich ernst genommen fühlst. In der Regel bieten Therapeuten und Therapeutinnen ein Erstgespräch an, bei dem du deine Probleme schildern und dir ein Bild von ihren Methoden machen kannst. Ich rate dir, dort nicht zu verheimlichen, dass du introvertiert und/oder hochsensibel bist. Nur wenn die therapeutische Fachkraft das weiß, kann sie dich auch richtig einschätzen und dir helfen.

Achtung! Wenn du unter einer psychischen Erkrankung leidest oder den Verdacht hast, an einer zu leiden, versuche nicht, das „selber irgendwie in den Griff zu kriegen“, sondern suche dir Hilfe, z. B. bei deiner hausärztlichen Praxis oder einer Beratungsstelle. Psychische Krankheiten sind nicht weniger ernst als körperliche Erkrankungen und benötigen eine professionelle Behandlung bzw. Therapie. Du würdest dir ja auch nicht selber den Bilddarm entfernen, oder?

Schlussgedanken

Ich bin jetzt einfach mal ganz mutig und behaupte: Es wäre ein viel kleinerer Anteil an Introvertierten schüchtern, wenn man uns nicht ständig vermitteln würde, dass wir uns ändern müssen.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Introvertierte in unserer Gesellschaft mehr akzeptiert und anerkannt werden. Denn wir sind genauso „normal“ und liebenswert wie Extrovertierte.

Hast du auch schon Erfahrungen damit gemacht, dass du als introvertierter Mensch nicht angenommen wurdest und man dich ändern wollte? Dann teile deine Gedanken gerne in den Kommentaren unter diesem Beitrag.


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3 Kommentare

  1. […] sein können. Ich gehöre selbst zu den schüchternen Introvertierten und tatsächlich ist die Kombination Schüchternheit und Introversion häufiger als schüchterne Extrovertierte. Und ja, letztere existieren wirklich und das sind besonders arme Schweine. […]

  2. Danke fürs Verlinken 🙂
    Dein Artikel gefällt mir echt gut! Ich finde, du vermittelst sehr anschaulich, warum es so wichtig es ist, dass wir alle mehr den „Menschen dahinter“ sehen lernen. Schön, dass du dich dafür einsetzt.

    1. Aww, vielen Dank, Anett. Das freut mich sehr, dass dir mein Artikel gefällt. Und verlinkt habe ich dich natürlich gerne, ich mag deinen Beitrag nämlich auch sehr. 🙂

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