Bewusstsein ist leise: Warum die Fähigkeiten Introvertierter gebraucht werden

Portraitfoto der Autorin und Coach Karin Franken. Rechts daneben steht der Text: "Hör auf deine innere Stimme" und in kleinerer Schrift darunter "Gastartikel von Karin Franken", sowie die Domain stillundsensibel.de

Ein Gastartikel von Karin Franken

Mein absolutes Herzensthema ist unsere innere Stimme und die entscheidende Rolle, die sie für uns spielen kann, wenn wir sie erst richtig entdecken und merken, wie gut sie uns tut. Und es ist erstaunlich, was sie uns alles zu sagen hat. Sie kann uns helfen, uns selbst besser zu verstehen und anzunehmen, uns trösten und bestärken. 

In einem ihrer letzten Blogartikel hat Mim über die Gedanken geschrieben, die ihr beim Lesen von meinem Buch „Aus dem Gleichgewicht“ * gekommen sind.

Im Buch geht es auch um mein Herzensanliegen: unsere innere Stimme und ihr unterschätztes Potenzial. Als ich es geschrieben habe, ist mir das erst so richtig bewusst geworden. Ich freue mich riesig, hier heute auch ein paar Gedanken dazu mit dir teilen zu dürfen!

Die kritische und die liebevolle innere Stimme unterscheiden

Vorweg möchte ich kurz erklären, was ich meine (und was nicht), wenn ich von der inneren Stimme spreche bzw. schreibe.

Damit meine ich nicht die Stimme, die uns ständig mit erhobenem Zeigefinger infrage zu stellen scheint und zur Optimierung antreibt. Denn mir ist aufgefallen, dass der Gedanke an diese vielen auch kommt, wenn von der inneren Stimme die Rede ist. Diese kritische innere Stimme kennen die meisten von uns mit Sicherheit auch.

Ich meine aber die, die durch unsere Intuition mit uns spricht und sich durch unser Bauchgefühl bemerkbar macht. Die sich im Gegensatz zur kritischen inneren Stimme immer gut anfühlt.

Wenn du beispielsweise schon mal in einem entscheidenden Moment einfach vom Gefühl her wusstest, welche die potenziell beste Entscheidung für dich war, ohne dass du sie rational hättest begründen können, kannst du vielleicht besser nachvollziehen, was ich meine.

Mit dem Kopf wäre man in solchen Momenten nicht dazu gekommen. Gerade Introvertierte haben von Natur aus besonders gute Anlagen, auch die weise innere Stimme zu hören. Denn nach innen gehen, viel fühlen und wahrnehmen, liegt uns im Blut.

Trotzdem hat unsere innere Stimme es nicht immer leicht, zu uns durchzudringen.

Horizont erweitern mit der weisen inneren Stimme

Unserem Verstand wird größere Bedeutung beigemessen. Doch ich glaube, dass sich ganz neue Erkenntnisse erst durch die Wahrnehmung unserer weisen inneren Stimme den Weg bahnen können.

Wie oft drehen sich unsere Gedanken bei der Suche nach einer Lösung im Kreis, „zerbrechen“ wir uns buchstäblich den Kopf?

Unser Verstand bewertet neue Situationen auf der Grundlage von vorher gemachten Erfahrungen und daraus gezogenen Rückschlüssen. Damit stellen sich automatisch schon gewisse Erwartungen ein (was uns aber selten bewusst ist). Durch sie können wir kaum ganz neutral und offen für etwas sein, was wir nicht erwarten.

Ich könnte mir vorstellen, dass so geniale Wissenschaftler wie Galilei oder Einstein offen dafür waren und durch ihre innere Stimme zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen gefunden haben.

Obwohl Introvertierte gute Voraussetzungen dafür haben, die weise innere Stimme wahrzunehmen, ist ihnen das oft nicht einmal bewusst oder sie trauen ihren Wahrnehmungen nicht bzw. können sie nicht zuordnen.

Womit kann das zusammenhängen?

Einer Norm, die der Natur Introvertierter widerspricht und ein falsches Ideal- und ungesundes Selbstbild verursacht.

Mit sensibleren, zurückhaltenden Menschen wird oft nicht besonders feinfühlig und verständnisvoll umgegangen. Sie entsprechen nicht dem Ideal einer „lauten“ Gesellschaft, in der Sensibilität und Zurückhaltung als Schwäche angesehen werden.

Das gibt Introvertierten das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein, wie sie sind.

Dabei nehmen sie sehr viel wahr, was anderen entgeht, aber sehr wichtig für alle sein könnte. Denn sie haben feine Antennen für Subtiles, feine Zwischentöne, für wirklich Authentisches wie für Unechtes, Vorgespieltes oder Widersprüchliches.

Doch …

das Gefühl, dass andere einen nicht verstehen, trägt dazu bei, sich lieber zurückzuhalten.

Als Kind habe ich den Ausspruch „Stille Wasser sind tief“ gehasst. Denn es fühlte sich für mich so an, dass darin immer so ein mitleidiges oder gönnerhaftes „Wenn du schon nicht lebhaft bist, dann wenigstens tiefgründig“ mitschwang. Aber viel zu fühlen, wahrzunehmen, nach innen und in die Tiefe zu gehen, wird nicht als besonders erstrebenswert angesehen in unserer Gesellschaft.

Dort erhält vor allem Beachtung und Anerkennung, wer sich am auffälligsten präsentieren kann und andere übertrumpft. Das spüren schon Kinder. Deshalb wollte ich damals nicht still und auch nicht tiefgründig sein. Es fühlte sich minderwertig an.

Sich der „Norm“ unterordnen, entfernt uns von uns selbst

Weniger sensible Menschen können kaum nachvollziehen, wie es ist, so intensiv zu empfinden. Aber die Art, wie die „Lauten“ die Welt wahrnehmen, wird gewissermaßen als „Norm“ vorausgesetzt, an der alle gemessen werden.

Sensible Introvertierte zweifeln deshalb oft an sich und trauen selbst ihrer Wahrnehmung nicht. Im Wunsch danach „richtig“ zu sein, nach Zugehörigkeit und Anerkennung versuchen sie sogar oft, sich gegen ihre Natur dem aufgedrückten Idealbild anzupassen.

Die oft tiefen Selbstzweifel, die viele stille Menschen haben, kenne ich nur zu gut. Und die Angst, in den Augen anderer etwas falsch machen zu können.

Doch …

echte Einfühlsamkeit und Sensibilität für die Dinge unter der Oberfläche, sind sehr viel wichtiger, als wir glauben.

Du hast bestimmt auch schon mal erlebt, dass du ein ungutes Gefühl bei Menschen hattest, die mit ihren Worten eigentlich etwas Positives ausgedrückt haben. Denn nicht immer steckt dahinter auch eine gute Absicht. 

Ein geliebtes Haustier beispielsweise kann sich nicht durch unsere Sprache verständlich machen, trotzdem spüren wir seine Zuneigung oft stärker und unverfälschter, als es (allein) durch Worte möglich wäre.

Durch unehrliche Worte wurden viele Menschen sogar so enttäuscht, dass ihnen die Bindung zu ihrem Tier lieber ist, weil sie spüren, dass deren – fühlbare – Art der Kommunikation wahrhaftiger ist.

Intuition statt Manipulation

Gefühle werden in unserer Gesellschaft nicht so ernst genommen wie Worte. Aber wenn wir allein den Worten Glauben schenken, macht uns das manipulierbar. Oder wenn wir uns der Meinung einer Mehrheit anschließen, ohne uns bewusst zu sein, ob das auch wirklich unsere ist. 

Dazu ist Einfühlsamkeit wichtig, vor allem in uns selbst.

Wir sind alle unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedlich geprägt und empfinden auf unterschiedliche Weise. Wenn wir das übergehen, können wir nicht wirklich unser eigenes Leben leben.

Wir kennen uns selbst nicht richtig, und es ist schwer, eine achtungs- und liebevolle Verbindung zu jemandem zu haben, den wir nicht richtig kennen.

Unsere innere Stimme kann uns helfen, wieder mehr unserem Gespür vertrauen zu lernen und zu erkennen, was uns wirklich helfen kann.

Individuelle Empfindungen und Ausgeglichenheit

Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen und unsere Empfindungen unterdrücken, stauen sie sich in uns an.

Die angestauten Emotionen müssen irgendwann irgendwo hin und richten sich dann entweder gegen andere, wie durch ungerechte Beurteilungen, Vorwürfe oder sogar Gewalt, im Extremfall auch bis zum Krieg.

Oder, und das kommt wahrscheinlich mehr bei Introvertierten vor, die angestauten Emotionen richten sich gegen uns selbst, was sich durch Ohnmachtsgefühle, Depressionen oder andere Krankheiten äußern kann.

Unklares Denken und Handeln ohne Fühlen und Verstehen

Unser gewohntes Denken ist meistens von persönlichen Erfahrungen, Verletzungen und daraus resultierenden Rückschlüssen und Erwartungen geprägt. Solange uns das nicht bewusst ist, erfolgt auch unser Handeln aus diesem Denken heraus.

Wenn Wahrnehmungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen die entscheidende Rolle spielen, die ihnen zukommen sollte, schafft dies Verständnis und Bewusstsein für tiefere Zusammenhänge.

Dann können auch aggressive Gefühle durch das Verstehen im Inneren gewandelt werden.

Denn echtes Verständnis unterdrückt diese Gefühle nicht, weil es die Achtung vor sich selbst und vor dem Gegenüber bewahrt. Es löst keine Vergeltungsgefühle mehr aus. Denn dann ist unser Denken klar und kann daraus auch bewusstes Handeln erfolgen. Innen und Außen sind dann ausgeglichen.

Darum sind die introvertierten Stärken so wichtig!

Stärken, die Introvertierten in ihrem ganzen Ausmaß selten bewusst sind

Sensible Menschen fühlen viel und nehmen viel von ihrer Umgebung wahr. Da sind sie weniger Sensiblen eindeutig überlegen.

Das Vermögen, weiter als der Kopf zulässt – über den eigenen Denkrahmen hinaus – wahrzunehmen, könnte noch viel mehr möglich machen, als wir uns jetzt vorstellen können.

Wenn wir uns das einmal wirklich bewusst machen: wie wichtig und einflussreich wäre die introvertierte Wesensart, wenn sie bewusst entfaltet und ganz ausgeschöpft wird?

Sie liegt in uns.

Wenn wir versuchen, uns einem Ideal anzupassen, das nicht unserer Natur entspricht, gehen auch wir selbst nicht verständnisvoll mit uns um.

Und von anderen, die nicht so fühlen und wahrnehmen wie wir selbst, ist es im Prinzip gar nicht möglich, ein tiefergehendes Verständnis und wirkliche Anerkennung für unser ganz individuelles Potenzial zu bekommen.

Ein natürliches und heilsames Selbstverständnis von innen wachsen lassen – auf passende (leise) Weise

Da wir ein tiefergehendes Verständnis von anderen nicht erwarten können, wird es umso wichtiger, uns selbst wirklich verstehen und annehmen zu lernen

Das kann erst einmal eine Herausforderung sein, weil sensible Menschen aus den anfangs genannten Gründen oft keine gute Meinung von sich selbst haben.

Es liegt auch vielfach in unserem Naturell, erstmal an andere zu denken, als sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken. Doch es lohnt sich, nicht nur für uns selbst.

Denn es hat nicht nur einen persönlich heilsamen Effekt, sondern kann auch die gängige Sichtweise auf Introvertierte und ihre besonderen Stärken positiv verändern. Das ist letztlich gut für alle.

Wenn wir uns selbst richtig kennen und schätzen, wird das auch Auswirkung darauf haben, wie andere uns wahrnehmen und begegnen. Denn wie wir uns innen fühlen, strahlen wir auch nach außen aus.

Sei der wichtigste Mensch in deinem Leben

Vielleicht fällt es dir leichter, liebe- und verständnisvoller mit dir selbst umzugehen, wenn du dich wie eine gute Freundin oder einen guten Freund betrachtest, die/der dir sehr am Herzen liegt.

Wie würdest du mit diesem Herzensmenschen umgehen? Seinen Sorgen zuhören, vielleicht eine Umarmung oder Hand halten, oder (noch) etwas anderes?

Du kannst einen inneren Dialog mit dir genauso führen wie mit einer anderen Person, die dir wichtig ist.

Das geht leichter, wenn du – wie auch mit einer/einem guten FreundIn – eine Verabredung mit dir triffst, dir Zeit nimmst, alle Ablenkungen ausschaltest. Ruhe, Entspannung und eine angenehme Atmosphäre können übrigens auch gute Voraussetzungen sein, um empfänglicher für die Signale der eigenen inneren Stimme zu werden.

Introvertierte Fähigkeiten werden gebraucht – unsere innere Stimme gibt uns Mut

Unsere weise innere Stimme ist zwar leiser als der dominante innere Kritiker, doch gerade introvertierte, sensible Menschen haben gute Voraussetzungen, nach innen zu spüren und die eher subtilen Signale der inneren Stimme wahrzunehmen. Vielleicht als Gedanke, Gefühl oder inneres Bild.

Wie sie sich zeigt, ist so individuell, wie die Menschen. 

Sie verbindet uns mit uns selbst, wie wir wirklich sind, hinter unseren seelischen Wunden, belastenden Überzeugungen und einschränkenden Idealbildern. 

Unsere innere Stimme hilft uns, uns selbst und das Besondere unserer leisen Stärken zu erkennen. Das macht es viel leichter, den Mut zu haben, sich anzunehmen, wie man ist.

Wenn wir uns dessen bewusst sind, strahlen wir das aus und brauchen dazu kein Aneinandermessen, Vergleichen und Wettstreit, wie uns oft glauben gemacht wird. Im Gegenteil: Erst die besonderen Fähigkeiten unseres Wesens können eine ausgeglichenere Welt schaffen.

Wer hat’s geschrieben?

Ich bin Karin Franken, ganzheitliche Lebensberaterin, Autorin von „Aus dem Gleichgewicht – Warum uns unser Verstand um den Verstand bringt“ * und lebe in Aachen. 

Der Weg zur bewussteren Entdeckung meiner inneren Stimme begann vor vielen Jahren mit dem Wunsch, mich selbst, meine Ängste, Sorgen und manche meiner Verhaltensweisen besser zu verstehen. Damit verbunden lernte ich im Lauf meiner Sinnsuche verschiedene ganzheitliche Praktiken kennen. Viel wichtiger als das vermittelte Wissen wurden für mich jedoch die Antworten, die ich in mir selbst finden konnte, nachdem mir vor allem durch Meditation und intuitives Schreiben bewusst wurde, dass es wirklich eine innere Weisheit in uns gibt, mit der wir direkt kommunizieren können und die uns ganz persönliche Antworten geben kann. 

Um unsere innere Stimme und den Zugang zu unseren inneren Schätzen drehen sich auch meine Website und meine Inspirations-Mails. Dort schreibe ich vor allem darüber, warum es uns oft noch schwerfällt, unsere innere Stimme zu hören, und über Möglichkeiten, unseren eigenen Weg zu ihr zu finden, wie mit Impulsen zum Nach-innen-spüren. Denn wir sind Unikate, fühlen individuell und haben unterschiedlichen Zugang zu unserer eigenen inneren Weisheit.

Die Coach und Autorin Karin Franken sitzt schreibend am Schreibtisch.

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