Trotz Lampenfieber: Wie Introvertierte ihr Publikum begeistern | Interview mit Paula Marie Berdrow

Auf dem Bild steht in Großbuchstaben "Kommunikation für Introvertierte" und darunter in einer handschriftähnlichen Schriftart "Interview mit Paula Marie Berdrow" Rechts ist ein rund geschnittenes Foto von Paula Marie Berdrow abgebildet. SIe hat graumelierte Haare unt trägt eine blaue Weste und darunter ein blaues Oberteil. Sie steht leicht seitlich zur Kamera und schaut nach links.

Sie steht liebend gerne auf der Bühne und weiß genau, was es braucht, um einen Vortrag – trotz Lampenfieber – überzeugend rüberzubringen.

Dabei ist Paula Marie Berdrow introvertiert.

Gerade das hilft der Sprecherin und Kommunikationspädagogin aber, sich in ihre Kundschaft hineinzuversetzen und ihnen genau da zu helfen, wo ihnen der Schuh drückt.

In unserem Interview verriet sie mir ihre Strategien gegen Lampenfieber, warum Introvertierte hervorragende Redner*innen sind und wie wir Menschen ansprechen können, wenn wir neue Kontakte suchen.

„Sprechen ist Introvertierten nicht per se fremd.“

Paula, vielen Dank, dass ich dich heute interviewen darf.

Gerne, Mim, ich freue mich enorm über unser Interview!

Du bist Sprecherin und Kommunikationspädagogin – und gleichzeitig auch introvertiert. Das klingt zunächst einmal nach einem Widerspruch. 

Viele Intros fühlen sich im Schreiben mehr zu Hause als im Sprechen. Aber ich glaube, wir kennen alle auch die Momente, in denen wir plötzlich erstaunlich viel und sogar gerne reden. Zum Beispiel, wenn wir uns wohlfühlen und mit Menschen zusammen sind, denen wir vertrauen. Oder wenn es um ein Thema geht, das uns wahnsinnig interessiert. Denn Introvertierte können sehr leidenschaftlich für ihre Themen brennen!

Für mich ist das ein Hinweis, dass uns das Sprechen nicht per se fremd ist. Wir sind nur etwas vorsichtiger und sparsamer damit als unsere extravertierten Freund*innen und Kolleg*innen. Und wir sind von einer extravertierten Kommunikationskultur umgeben, was uns vor gewisse Herausforderungen stellt.

Würdest du sagen, dass du bei deiner Arbeit von deiner Introversion profitierst?

Bei meiner Arbeit profitiere ich sogar sehr von meiner Introversion. Ich arbeite zum Beispiel gerne mit Menschen, die in der Kommunikation mit Aufregung, Lampenfieber und Ängsten zu kämpfen haben. Da kommt mir meine ruhige Ausstrahlung zugute, und auch die Tatsache, dass mir solche Ängste nicht ganz fremd sind.

Dann wurde mir vor Kurzem gesagt, dass Einfühlungsvermögen eine große Stärke von mir sei. Das war mir vorher gar nicht so bewusst, aber es stimmt. Für meine Trainings ist es mir wichtig, eine sichere und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, in der sich meine Kund*innen öffnen und ihre eigenen Themen anschauen können. Ich glaube, dafür ist Einfühlungsvermögen eine wichtige Zutat, und natürlich, dass man gut zuhören kann.

Dazu fällt mir direkt noch ein Punkt ein. Als Introvertierte habe ich oft das Gefühl, dass ich langsamer bin als so manche*r Extravertierte. Das kann natürlich unangenehm sein, wenn einem die richtigen Worte nicht einfallen wollen, aber in einem Punkt ist es ein Vorteil: Ich urteile auch weniger schnell.

Erst mal begegne ich allen sehr offen und schaue mir jedes Problem ganz genau von allen Seiten an. Das hilft mir in Gruppenprozessen, zum Beispiel wenn in einem Workshop eine angeregte Diskussion entbrennt. Und es ist hilfreich, wenn ich mich mit Kund*innen auf Lösungssuche für ein kommunikatives Problem begebe.

Ist deine introvertierte Art auch manchmal ein Hindernis? Wenn ja, wie gehst du damit um? Hast du da Strategien für dich entwickelt?

Ja, ich habe zum Beispiel gemerkt, dass es für mich sehr energieintensiv ist, mit einer Gruppe zu arbeiten. Früher habe ich das oft gemacht und mich immer gewundert, warum es mich so auslaugt. Damals wusste ich aber noch nicht, dass es so etwas wie Introversion überhaupt gibt.

Heute weiß ich, dass das spontane Reagieren, Raum halten und präsent sein für eine Gruppe eine echte Kraftanstrengung für mich ist. Deshalb achte ich jetzt viel stärker auf meine Pausen, und dass ich zwischendurch Momente des Rückzugs bekomme.

Ich mache das auch nicht mehr so oft, der Schwerpunkt meiner Selbstständigkeit liegt inzwischen auf 1:1 Trainings. Aus denen komme ich oft sogar erfrischt, voller Energie und Tatendrang. Ein schönes Gefühl!

Paula Marie Berdrow sitzt vor einer Holzwand und sieht direkt in die Kamera. Ihr ganzer Körper ist auf dem Foto erkennbar. Sie hat das rechte Bein ähnlich eines Schneidersitzes angezogen, das linke aber nicht. Paula hat graumelierte Haare, die sie zusammengebunden hat. Sie trägt ein blaues Oberteil und eine schwarze Hose. In den Händen hält sie ein Notizbuch.
Copyright: Ingrid Hagenhenrich

„Versuche nicht, dein Lampenfieber zu verstecken.“

Viele Introvertierte haben große Probleme damit, vor Publikum zu sprechen. Dir macht das hingegen viel Freude. 

Ja, das stimmt, ich stehe gerne auf der Bühne. Inzwischen hatte ich so viele Theateraufführungen, dass ich vorher nur noch ein bisschen Lampenfieber habe. Ganz anders ist es bei Vorträgen oder Workshops, da bin ich schon Tage vorher aufgeregt!

Hast du einen Geheimtipp gegen Lampenfieber?

Vorneweg möchte ich sagen: Die Angst, vor einem Publikum zu sprechen, ist extrem verbreitet. Sie ist absolut menschlich und für die meisten gut nachvollziehbar. Du kannst davon ausgehen, dass auch in deinem Publikum viele sie schon mal erlebt haben.

Deshalb: Halte dich nicht damit auf, dein Lampenfieber kontrollieren oder verstecken zu wollen. Nimm es lieber an, als Zeichen deiner Menschlichkeit und als Zeichen, dass du die Situation und dein Publikum ernst nimmst.

Je öfter du vor Publikum sprichst, desto besser lernst du dein persönliches Lampenfieber kennen. Irgendwann weißt du genau, was kommt, und kannst dich gelassener darauf einstellen. Ich weiß zum Beispiel, dass es mit einer unruhigen Nacht anfängt. Ich brauche immer einen Moment, bis ich checke: „Ach so, ich bin aufgeregt!“ Dann begrüße ich nach und nach die vertrauten Zeichen.

Angenommen, ich trete vor mein Publikum und beginne zu sprechen. In solch einem Moment ist meine Aufregung ja am allergrößten. Wie gehe ich da am besten vor? 

Lass. Dir. Zeit.

Lampenfieber hat einen erstaunlichen Effekt auf unsere Zeitwahrnehmung. Es ist, als würde die Zeit plötzlich langsamer ablaufen. Eine kurze Pause kommt dir wie eine Ewigkeit vor. Deshalb sprechen viele Leute schneller, wenn sie aufgeregt sind, und nehmen sich nicht genug Zeit, um da vorne erst mal anzukommen.

Nimm dir diese Zeit, und fang nicht sofort an zu sprechen.

Geh auf die Bühne. Stell dich vor dein Publikum und richte dich noch mal auf. Schau dein Publikum an, nimm wahr, ob sie bei dir sind. Und dann atme aus.

Ausatmen? Nicht tief einatmen?

Ja, du hast richtig gehört! Atme AUS. Das hat gleich mehrere Vorteile:

  • Du verschaffst dir noch einen Augenblick Zeit, um dich zu sammeln.
  • Du lässt unnötige Anspannung los.
  • Deine Atmung normalisiert sich.
  • Deine Stimme klingt entspannter.

Wenn wir aufgeregt sind, atmen wir nämlich oft etwas kräftiger ein als aus. Dadurch verschiebt sich der Atem nach oben, in den Brustraum, das verstärkt die Stressreaktion, und die Stimme klingt ebenfalls höher.

Vielleicht ist es dir sogar schon mal aufgefallen: Viele Vortragende steigen mit einer etwas höheren Stimmlage ein, und dann dauert es ein paar Minuten, bis sie wieder normal klingen, so wie man es von ihnen kennt. 

Wenn du von Anfang an in deiner gewohnten, entspannten Stimmlage bist, wirkt das sehr souverän. Außerdem ist es ein Weg, die Aufregung über den Körper zu regulieren. Durch das Ausatmen lässt du körperliche Anspannung los. Das fühlt sich gut an und hilft, dich auch innerlich wieder ein bisschen zu entspannen.

Ein schwarzweißes Foto von Paula, die vor einer Holzwand sitzt. Das linke Bein hat sie angezogen. Sie lächelt und berührt mit der rechten Hand ihr linkes Ohr. In dieser Hand hält sie auch einen Stift. In ihrem Schoß liegt ein aufgeschlagenes Notizbuch.
Copyright: Ingrid Hagenhenrich

„Intros haben das Bedürfnis, dass ihre Ideen gehört werden.“

Ich habe mal gelesen, dass Introvertierte im Grunde die geborenen Redner*innen seien, weil sie sich durchaus gerne mitteilten und auf einer Bühne – im Gegensatz zum Alltag – ein Publikum hätten, das ihnen zuhöre.

Jaaa! Die Bühne bietet Vorteile für Introvertierte.

Wir werden dort zum Beispiel nicht unterbrochen und müssen auch nicht dafür kämpfen, zu Wort zu kommen. Dadurch fällt ein großer Stressfaktor weg, und wir können unsere Botschaft mit größerer Ruhe und Freiheit entwickeln.

Außerdem ist es ja meistens so, dass wir uns auf einen Vortrag vorbereiten. Wir können also ganz introfreundlich allein und in Ruhe unsere Inhalte auswählen, uns Gedanken über die Zielgruppe machen, eine Struktur und eine passende sprachliche Form finden. Und wir können den Vortrag üben! Das gibt uns eine Menge Sicherheit.

Vorträge und Bühnenauftritte sind auch eine Möglichkeit, dem Publikum einen Ausschnitt unserer inneren Welt zu zeigen und mit unseren Ideen wirksam zu werden. Wir mögen im Alltag still wirken, aber ich glaube, auch wir haben das Bedürfnis, dass unsere Ideen gehört werden und die Chance haben, etwas zu verändern.

Wie kann ich mit meiner Stimme und der Art, vorzutragen, mein Publikum in den Bann ziehen?

Das ist tatsächlich sehr individuell. In der Stimme und in unserer Art, zu sprechen, drückt sich unsere Persönlichkeit aus. Unser Charakter, Erfahrungen, unsere Perspektive auf die Welt. Deshalb haben wir alle einen eigenen, unverwechselbaren Stil, uns mitzuteilen. Was für mich funktioniert, würde bei dir vielleicht aufgesetzt wirken und umgekehrt.

Deshalb finde ich es wichtig, dass Tipps zur Kommunikation viel Spielraum lassen, damit man sie an den eigenen Stil anpassen kann.

Paulas beste Tipps: So ziehst du dein Publikum in den Bann

1. Deine Leidenschaft, deine Begeisterung für dein Thema hat eine große Anziehungskraft. Erlaube dir, sie zu zeigen und lass sie für dein Publikum spürbar werden. Dann hast du die Chance, dass der sprichwörtliche „Funke überspringt“.

2. Die Beziehung zum Publikum ist wichtig. Sie trägt die inhaltliche Ebene und ist untrennbar mit ihr verbunden. Möglichkeiten, eine gute Beziehung zum Publikum aufzubauen, sind zum Beispiel:

  • echtes Interesse an den Gedanken, Erfahrungen und Sichtweisen der Zuhörenden
  • eine Vorbereitung, die beim Publikum anfängt:
    • Wer hört deine Rede?
    • Welches Vorwissen ist schon da?
    • Welche konkreten Alltagsprobleme haben sie in Bezug auf dein Thema?
    • Welche Ängste oder Vorbehalte könnten sie haben?
    • Was wünschen und brauchen sie?
  • eine Sprache, die für dein Publikum verständlich ist
  • Blickkontakt
  • die Möglichkeit, Fragen zu stellen und mit dir ins Gespräch zu kommen (kann auch am Ende der Rede sein)

3. Vergiss Perfektion. Es ist viel interessanter und nahbarer, wenn du du bist. MIT deiner Aufregung, MIT deinem Humor und MIT deiner ganz persönlichen, unverwechselbaren Art. Versteck dich nicht hinter einer Fassade, sondern sprich so, dass die Leute dich wiedererkennen. Sie werden trotzdem staunen, wie du gerade über dich hinauswächst. 😉

„Du musst dich nicht auf Extro-Art präsentieren.“

Du bietest sowohl dein „Wort & Stimme“ Sprechtraining, als auch deine „SanftMut Session“ als Kommunikationstraining an. Für die Lesenden, die sich noch nie damit beschäftigt haben: Was unterscheidet ein Sprechtraining von einem Kommunikationstraining und wo liegen die Schwerpunkte der beiden Angebote?

In meinem Sprechtraining „Wort & Stimme“ geht es um das Vorlesen und Vortragen von Texten, zum Beispiel in Form von Lesungen, Theater, Hörbüchern, Podcasts und Voice-Overs.

Ich habe zum Beispiel einen Kunden, der darauf hinarbeitet, Hörbuchsprecher zu werden und einige, die bei Lesungen und Rezitationsabenden auftreten. Aber ich unterstütze auch beim Start eines Podcasts oder beim Sprechen für Social-Media-Videos.

Das ist also schon ein bisschen speziell. Es geht im Grunde darum, einen vorher geschriebenen Text beim Sprechen wieder lebendig werden zu lassen, sodass man gerne zuhört, und Bilder vor dem inneren Auge hat.

Im Kommunikationstraining geht es um die kommunikativen Alltagsprobleme, mit denen wir Intros so konfrontiert sind.

Was sind das für Probleme?

Du hältst vielleicht bald einen Vortrag und bist furchtbar aufgeregt. Deshalb fragst du dich: Wie bereitet man sich darauf vor? Wie geht man mit diesem Lampenfieber um und wie strahlt man vor einem Publikum Ruhe und Kompetenz aus?

Oder du möchtest lernen, im Gespräch mit Kolleg*innen oder Vorgesetzten für dich einzustehen. Nein sagen und deine Grenzen aussprechen, fällt dir schwer.

Vielleicht wirst du in Gruppen immer wieder unterbrochen oder kommst nicht dazwischen und möchtest endlich Gehör finden. 

Oder du willst lernen, spontan zu formulieren, damit du dich an Diskussionen beteiligen und Stellung beziehen kannst.

Ein weiteres Beispiel wäre, dass du das Gefühl hast, dass deine Stimme und die Art zu sprechen nicht in deinem Sinne arbeiten. Vielleicht wird deine Stimme höher, wenn du unsicher bist? Oder es fällt dir schwer, entschlossen und bestimmt zu klingen?

Wie wirkt sich dieses Training auf uns aus?

Die Arbeit an Stimme, Sprechen und Kommunikation stärkt unser Selbstbewusstsein. Das heißt aber nicht, dass wir lernen sollen, uns immer laut und forsch, sozusagen auf Extro-Art zu präsentieren. Im Gegenteil: Wir finden unsere ganz eigenen Stärken, mit denen wir in der Kommunikation glänzen und eigene Akzente setzen können.

Paula steht vor einer Holzwand. Sie lächelt und schaut nach rechts. In den Händen hält sie ein Notizbuch.
Copyright: Ingrid Hagenhenrich

„Fragen führen Gespräche in die Tiefe.“

Es ist kein Geheimnis, dass wir Introvertierten und Hochsensiblen oft Probleme haben, andere Menschen kennenzulernen. Einfach jemanden anquatschen und Small Talk machen, ist für die meisten von uns ein Graus. 

Stille und sensible Menschen sind oft aufmerksame Beobachter*innen und gute Zuhörer*innen. Diese Stärken können wir nutzen, wenn es darum geht, neue Kontakte zu knüpfen.

Was empfiehlst du stillen Menschen, die Kontakte knüpfen wollen, aber einfach nicht wissen, wie sie das Ganze angehen sollen? 

Befreie dich zunächst von dem Druck, sofort ein Gespräch anzufangen. Richte stattdessen deine Aufmerksamkeit auf deine Umgebung:

  • An was für einem Ort bist du gerade?
  • Wer ist mit dir da?
  • Gibt es Personen, die dir sympathisch sind? Warum?
  • Gibt es Personen, die sich unsicher umschauen? Die vielleicht etwas suchen oder sich Unterstützung wünschen? Oder die gerne ein Gespräch führen würden, sich aber nicht trauen, jemanden anzusprechen?
  • Gibt es im Raum interessante Details, die dir ins Auge fallen?
  • Gibt es etwas, was du gerne wissen möchtest?

So kannst du eine Weile sammeln und die Situation auf dich wirken lassen. Bestimmt kommen dir nach einer Weile Ideen, mit wem oder worüber du gerne sprechen würdest. 

Wenn ich nun eine Person gefunden habe, die ich ansprechen will, wie gehe ich am besten vor?

Lass dich von deiner Neugier und deinem Interesse leiten.

Überlege dir eine Frage, die du der Person stellen willst. Mit Fragen bringst du dein Gegenüber zum Sprechen. Du kannst erst mal zuhören, nachfragen und kommentieren. Vielen Introvertierten fällt das leichter, als sofort etwas von sich selbst zu erzählen.

Fragen haben aber noch einen Vorteil: Sie steuern das Gespräch in eine Richtung, die für dich interessant ist. Dadurch haben sie das Potenzial, euch schnell in die Tiefe zu führen. Weg von der oberflächlichen Small Talk Ebene, die vielen so verhasst ist. 😉

Paula sitzt auf dem Boden. Das rechte Bein hat sie abgewinkelt und an den Körper gezogen, das linke liegt gerade auf dem Boden auf. Vor ihrem angezogenen Bein steht eine türkise Tasse. Sie gestikuliert und hält eine schwarze Karte in der linken Hand, von der sie etwas laut abliest. Sie hat grau melierte, zusammengebundene Haare, trägt ein blaues T-Shirt und eine schwarze Hose. Hinter ihr sieht man große Fenster, die bis zum Boden reichen.
Copyright: Ingrid Hagenhenrich

„Wenn Introvertierte etwas sagen, hat es Substanz.“

Gibt es in der Kommunikation denn etwas, das Introvertierte besser können, als unsere extrovertierten Mitmenschen? Oder sind wir grundsätzlich im Nachteil?

Oh, keineswegs! Wir haben Stärken, die in der Kommunikation ebenso wichtig sind wie die von Extravertierten.

Ein paar habe ich schon genannt: Zuhören zum Beispiel, Empathie und Ruhe, aber auch leidenschaftliches Engagement für unsere Herzensthemen – eine Eigenschaft, die viele eher nicht so mit Introvertierten verbinden.

Eine weitere große Stärke ist tatsächlich unser Fokus nach innen. Unsere innere Welt aus Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Erinnerungen. Daraus ergeben sich weitere Stärken, die vielen Introvertierte gemeinsam sind.

Etwa Kreativität, Vorstellungsvermögen, analytisches Denken, Struktur und die Fähigkeit, komplexe und verstreute Informationen zu bündeln und übersichtlich darzustellen. Ebenso Sprachgefühl.

Und Expertise, weil wir uns so tief in unsere Themen einarbeiten.

Wir mögen manchmal ein bisschen langsamer sein und weniger auffallen, aber wenn wir etwas sagen, dann hat es wirklich Substanz!

Unsere ruhige, besonnene Art kann Diskussionen erden und sachlicher machen. Ich habe auch den Eindruck, dass wir weniger Wert auf Konkurrenz legen. Stattdessen setzen wir auf inhaltliche Argumente und eine respektvolle, wertschätzende Haltung zueinander.

„Unsere Perspektiven bringen eine Vielfalt und Balance, die die Welt dringend nötig hat.“

Als Schlusswort, vervollständige bitte den Satz: Ich liebe Sprechen und Kommunikation, weil …

… es ein Weg ist, unsere innere Welt mit der Welt da draußen in Verbindung zu bringen. So können wir mit unseren Ideen gehört werden und an der Umsetzung unserer Ziele und Träume arbeiten.

Außerdem sehen die Menschen um uns herum dann, was in uns steckt 😉

Aber auch für uns selbst kann es eine tolle Erfahrung sein, über unsere inneren Bilder zu sprechen. Sprechen ist ja auch eine Art Verkörperung. Das fühlt sich oft noch mal ganz anders an, etwas auszusprechen, statt es nur zu denken oder zu schreiben. 

Manchmal richtig gut, und manchmal merkt man im Aussprechen, „ah, das ist es noch nicht ganz“, und bekommt durch den Austausch neue Ideen.

Dahinter steht die tiefe Überzeugung, dass unsere Perspektiven auf die Welt und auf das Zusammenleben wertvoll sind. Sie bringen eine Vielfalt und Balance, die unsere Welt dringend nötig hat!

Vielen Dank, liebe Paula, dass du dir für das Interview Zeit genommen hast. Ich wünsche dir alles Gute weiterhin.

Das wünsche ich dir auch! Vielen Dank, dass du auf stillundsensibel.de einen Raum schaffst, um über unsere Stärken und Herausforderungen nachzudenken.

Du möchtest mehr über Paula erfahren?

Paula Marie Berdrow sitzt vor einer Holzwand und sieht direkt in die Kamera. Paula hat graumelierte Haare, die sie zusammengebunden hat. Sie trägt ein blaues Oberteil und eine schwarze Hose. In den Händen hält sie ein Notizbuch.
Copyright: Ingrid Hagenhenrich

Mehr Infos über Paulas Arbeit findest du auf ihrer Website und in ihrem Podcast Herz & Zunge, den sie gemeinsam mit Lena Bodenstedt veröffentlicht.

Wenn du mehr von Paula lesen möchtest, schau mal hier vorbei:

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3 Kommentare

  1. Oh wow, danke für diesen Beitrag. Das ist super wertvoll. Ich hab ja damit oft Probleme, sogar in Online-Konferenzen, wo ich die Leute nicht sehe.. Jetzt hab ich eine Frage: Wie schätzt du es ein, dass HSP gut mit Vorträgen klar kommen? Ich hab zumindest die Einschätzung gehört, dass HSP nie wirklich gut darin sein werden. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es mir z.B. hilft keinen „Frontalunterricht“ zu machen, sondern direkt mit Leuten zu arbeiten oder den Vortrag mit jemand zusammen durchzuführen und sich abzuwechseln. Aber manchmal geht das halt nicht, was kann man als HSP denn da machen?
    Was ich noch teilen wollte: Mir ist aufgefallen, dass Introvertierte und HSP oft „Peoplepower“ haben, während extravertierte Menschen energetisieren oder unterhalten können (was ich eher als maskuline Energie bezeichnen würde), sind es andere Eigenschaften wie „berührt sein“ oder dass sich Menschen mit sich verbinden können oder (neue) Verbindungen entstehen. Und das ist das was in der Welt sooo fehlt. Und es entsteht oft ganz natürlich, d.h. Menschen wollen sich verbinden. Überleg mal was für das eine Welle sein könnte. Also falls noch jemand denkt, man wäre ja nicht so wichtig oder müsste genauso cool sein wie die Anderen.

    1. Hallo Katrin,

      freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat.

      Das ist eine gute Frage, Katrin. Ich denke, das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt sicher HSP, die sich brutal schwertun mit Vorträgen und dann wieder welche, denen das (zumindest bei guter Vorbereitung) weniger ausmacht. Was ich mir vorstellen könnte, das sind aber meine eigenen Gedanken und basiert nicht auf irgendwelchen wissenschaftlichen Forschungen, ist, dass HSP es bei Vorträgen schwerer haben, weil sie sehr empfindlich auf Stimmungen und Emotionen im Raum reagieren. Und wenn ich ohnehin schon etwas nervös bin, dann aber auch noch mit den Gefühlen des Publikums konfrontiert werde, kann das eine zusätzliche Hürde sein. Ich weiß nicht, ob dir das an der Stelle hilft, aber ich schlüpfe bei Vorträgen gerne in eine Art Rolle, als würde ich mir ein Kostüm überstreifen. Damit „schütze“ ich mich ein bisschen vor dem Einfluss der anderen und konzentriere mich ganz auf meinen Vortrag. (Ich muss an dieser Stelle aber fairerweise auch bemerken, dass ich schon länger keine Vorträge mehr gehalten habe und darin auch nicht so erfahren bin. Ich werde aber mal Paula auf deinen Kommentar hinweisen, vermutlich hat sie bessere Tipps auf Lager.)

      Das mit der „Peoplepower“ habe ich so noch nicht gehört, aber ich stimme dir absolut zu. Wir sind alle wichtig und jede*r kann der Welt etwas geben. Und die Gabe, Verbindungen mit anderen Menschen zu schaffen, ist so, so wertvoll.

      Alles Liebe
      Mim

    2. Liebe Katrin,

      vielen Dank für deine Rückmeldung und das Teilen deiner Gedanken ❤️

      Vorweg: ich bin selbst nicht hochsensibel, deshalb kann ich an der Stelle zwar überlegen, aber nicht auf meine eigene Erfahrung zurückgreifen. Trotzdem glaube ich nicht, dass man das so pauschal sagen kann – dass HSP nicht gut in Vorträgen sein könnten. Denn das, was du beschreibst: die Stärke, eine Verbindung entstehen zu lassen, berührt zu sein und andere zu berühren, das ist ein großes Geschenk, wenn man Vorträge hält. Auch in der Vorbereitung können Sensibilität und Empathiefähigkeit dabei helfen, die Perspektive des Publikums zu erfassen und so zu sprechen, dass andere sich verstanden fühlen.

      Was ich mir gut vorstellen kann, ist, dass ein Vortrag für HSP anstrengender ist, dass sie dabei gut auf sich achten und herausfinden müssen, was ihnen in dieser besonderen Situation hilft. Sie werden vielleicht keinen Speaker-Lifestyle für sich auswählen, mit mehreren Vorträgen pro Woche, einfach weil es zu anstrengend wäre. Aber wenn sie in ihrem Element sind und den Vortrag so gestalten können, wie es ihnen gut tut, glaube ich, dass sie richtig gute Redner*innen sein können.

      Spannend finde ich, dass du schon bemerkt hast, dass es dir hilft, direkt mit Leuten zu arbeiten. Das ist ein super Hinweis! Wie kannst du das noch mehr in deine Vorträge einbauen? Vielleicht hilft es dir, das Publikum nicht als große, einheitliche „Masse“ zu denken, sondern die einzelnen Menschen zu fokussieren, und immer wieder mit einzelnen im Kontakt zu sein. Also einzelne anzuschauen, ihre Reaktionen wahrzunehmen und sie anzusprechen. Du könntest auch schon während des Vortrags Fragen an das Publikum stellen und kleine Gesprächseinheiten einbauen. Oder du stellst eine Frage und bittest die Zuschauenden, sie still für sich zu beantworten. Dann gehen sie einen Augenblick in sich und du kannst einmal durchatmen.

      Einen Vortrag oder Workshop zu zweit zu halten finde ich als Introvertierte auch total angenehm! Dann habe ich zwischendurch Zeit, mich zu entspannen und wahrzunehmen. Auf die Art sehe und höre ich mehr von den Teilnehmenden, und das tut dann wieder dem Workshop gut. Das geht vielleicht nicht immer, aber wenn doch, spricht nichts dagegen, das zu genießen 🙂

      Wie ist das denn bei dir: Hältst du schon regelmäßig Vorträge, oder überlegst du zur Zeit, es mal auszuprobieren?

      Viele liebe Grüße
      Paula

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