Ambivertiert: zwischen den Extremen

Das Bild hat einen gelben Rahmen. Oben steht in roten Großbuchstaben das Wort "Ambivertiert", darunter in schwarzer Handschrift "Was ist das?" Rechts neben dem Text ist eine Illustration von einem Mädchen mit langen roten Haaren abgebildet, die ein gelbes Sweatshirt trägt und mit einem Auge durch eine Lupe schaut. Das durchsehende Auge ist vergrößert.

Enthält Werbung | Bist du ambivertiert? Falls du dich jetzt fragst: „Hä? Ambi-was?!“, dann bist du damit nicht alleine. Der Begriff ist eher unbekannt, dabei gibt es viele Menschen, auf die dieses Temperament zutrifft.

Wenn du dich schon immer gefragt hast, ob du denn nun introvertiert oder extrovertiert bist, aber nie auf eine zufriedenstellende Lösung gekommen bist, dann ist dieser Blogartikel für dich.

Du erfährst darin:

  • Was „ambivertiert“ bedeutet
  • Wie du herausfindest, ob das auf dich zutrifft
  • Welche Vorteile Ambiversion mit sich bringt
  • Wie du damit am besten umgehen kannst, wenn du dich als ambivertiert identifizierst

Was ist ambivertiert?

Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich kurz anreißen, was denn Introversion und Extraversion bedeuten.

Introvertierte Menschen ziehen ihre Energie aus dem Alleinsein. Sie werden als eher zurückhaltend, ruhig, ja manchmal auch als unnahbar oder schüchtern beschrieben. Dabei ist Schüchternheit nicht dasselbe wie Introversion.

Extrovertierte hingegen ziehen neue Energie aus der Gesellschaft mit anderen Leuten. Sie werden als laut, kontaktfreudig und weniger risikoscheu betrachtet, auch wenn das nicht immer zu 100 % zutrifft.

Ambivertierte vereinen in ihrer Persönlichkeit sowohl extrovertierte als auch introvertierte Merkmale. Das bedeutet, dass sie zwischen den beiden Extremen liegen und damit besonders anpassungsfähig und flexibel sind.

Die Vorsilbe „ambi-“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „beide“ oder „zwei“.

Die Wissenschaft ist sich nicht sicher, wie groß der Anteil an ambivertierten Menschen in der Bevölkerung ist. Je nach Definitionsgrundlage geht man von 10 % bis 60 % aus. Das sind natürlich sehr ungenaue Angaben.

Wer hat’s erfunden?

Der Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875 – 1961), auch häufig C. G. Jung genannt, erforschte die menschliche Persönlichkeit bereits vor über hundert Jahren. Schon 1921 definierte Jung die beiden Extreme Introversion und Extraversion. Er war sich sicher, dass es dazwischen einen Graubereich gibt, doch den Begriff Ambiversion lehnte er ab.

„Es gibt niemanden, der vollkommen introvertiert oder extrovertiert ist. Ein solcher Mensch wäre im Irrenhaus.“

– Carl Gustav Jung

Der Psychologe Hans Jürgen Eysenck (1916 – 1997), der sich insbesondere mit Persönlichkeit und Intelligenz auseinandersetzte, befand, dass es sich bei Introversion-Extraversion um eine Skala handelte, mit je einem der Extreme an den beiden Polen. Ambiversion wäre demnach irgendwo in der Mitte.

Eysenck ging davon aus, dass wir alle einen festen Wert auf dieser Skala haben. Die Forschung geht heute jedoch davon aus, dass wir auf dieser Skala eher etwas schwanken und mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung tendieren.

Der Begriff „ambivertiert“ wurde übrigens von einem amerikanischen Psychologen namens Edmund Smith Conklin (1884 – 1942) erstmals geprägt.

Bin ich ambivertiert?

Vielleicht fragst du dich jetzt, ob du selbst ambivertiert sein könntest. Im Folgenden findest du fünf Anzeichen, ob du tatsächlich dieses Temperatment haben könntest.

Es fällt dir schwer, dich einzuordnen

Dir fiel es schon immer schwer, dich als entweder introvertiert oder extrovertiert einzuordnen. Irgendwie hattest du Eigenschaften von beiden Temperamenten, je nach Situation und Umgebung. Das hat dich immer total verwirrt und immer wenn du glaubtest, „dein“ Temperament gefunden zu haben, ist kurz darauf wieder etwa passiert, das eigentlich eher dem anderen Temperament zuzuordnen war.

Du passt dich wie ein Chamäleon an deine Umgebung an

Es fällt dir leicht, dich an deine Umgebung anzupassen. Du sollst im Team arbeiten? Kein Problem, das hast du drauf. Du bist nach Feierabend allein zu Hause? Kannst du auch vollkommen genießen. Egal, in welche Situation du kommst, durch deine hohe Flexibilität meisterst du alles souverän und ohne großes Drama.

Du wirst oft als besonders sympathisch bezeichnet

Menschen geben dir oft die Rückmeldung, dass sie dich besondres sympathisch finden. Dadurch, dass du sehr anpassungsfähig bist, kannst du gut auf andere Menschen eingehen.

Du hast Eigenschaften von beiden Extremen

Dieser Punkt ist ähnlich wie Punkt zwei, aber doch nicht komplett gleich. Du bemerkst bei dir sowohl introvertierte als auch extrovertierte Stärken und Schwächen. Du bist etwa unter Menschen, die du kennst, eine echte Rampensau, unter Fremden aber eher zurückhaltend und beobachtend.

Du hast eine hohe Empathie

Du hast eine hohe Emotionale Intelligenz (EQ), das heißt, du kannst gut mit deinen eigenen Gefühlen und denen anderer Menschen umgehen. Deine Gefühlslage ist meistens recht stabil und es gehört schon einiges dazu, diese emotionale Balance ins Wanken zu bringen. Außerdem kannst du dich gut in andere Menschen einfühlen und perfekt auf ihre Stimmung reagieren.

Was sind die Vorteile von Ambiversion?

Du hattest gerade einige Aha-Momente und dich als ambivertiert erkannt? Das ist super, denn es bringt einige Vorteile mit sich.

Dir ist selten langweilig

Da Ambivertierte sowohl allein als auch unter Menschen sein können, ist ihnen selten langweilig. Es gibt immer etwas zu tun, auszuprobieren, entdecken.

Je nach Stimmungslage kannst du einen gemütlichen Film-Marathon genauso genießen wie die wilde Geburtstagsparty deiner besten Freundin.

Du knüpfst leichter Kontakte

Dadurch, dass du dich an die Persönlichkeit anderer Menschen anpassen kannst, fällt es dir leichter, Kontakte zu knüpfen.

Wie bereits oben erwähnt, werden Ambivertierte als besonders sympathisch wahrgenommen.

Das ist natürlich ein großer Vorteil beim Socializing. Du hast sowohl viele flüchtige Bekannte als auch einen engen Freundeskreis.

Du hast weniger Streit

Deine hohe Emotionale Intelligenz hilft dir dabei, Menschen auf tiefer Ebene zu verstehen und angemessen auf kritische Situationen zu reagieren.

Dadurch hast du seltener Streit mit anderen und kannst aufgewühlte Gemüter schneller besänftigen.

Du bist die bessere Führungskraft

Ambivertierte sind die perfekten Führungskräfte. Sie können sich durchsetzen, aber auch zurücknehmen und einfach mal zuhören, was die Mitarbeitenden sagen. Sie knüpfen schnell neue Kontakte, gehen empathisch auf andere ein, können selbstständig ebenso gut arbeiten wie in einem Team und wissen genau, was ihr Umfeld und ihre Kundschaft brauchen.

Du verkaufst besser

Der US-amerikanische Psychologe Adam M. Grant fand in seiner Studie Rethink the Extraverted Sales Ideal: The Ambivert Advantage heraus, dass nicht Extrovertierte die besten Verkäufer*innen sind, sondern tatsächlich Ambivertierte. Diese können ideal auf ihre Kundschaft eingehen und ihre Verkaufsstrategie an die Situation anpassen.

Aber auch für Introvertierte gibt es Hoffnung. In seinem Buch Der Pfad der Introvertierten zum Verkaufen * zeigt dir der erfolgreiche, introvertierte Unternehmer und Autor Matthew Pollard, wie du deine stillen Stärken nutzen kannst, um erfolgreich zu verkaufen.

Wie gehe ich mit meiner Ambiversion um?

Hast du dich in der oberen Beschreibung wiedererkannt? Dann fragst du dich jetzt vielleicht, was du mit diesem neuen Wissen nun am besten anfängst. Hier ein paar Tipps, die dir dabei helfen, mit deiner Ambiversion umzugehen.

Nimm dich an

Ganz wichtig zu verstehen ist, dass du NICHT unentschlossen bist, nur weil du dich nicht eindeutig dem introvertierten oder extrovertierten Extrem zuordnen kannst.

Ambivertiert zu sein, ist völlig normal und nichts Ungewöhnliches.

Jetzt, da du einen Begriff für dein Temperament hast, siehst du vielleicht, dass du nicht versuchen musst, dich in eine Rolle zu pressen, die nicht wirklich DU bist.

Nicht nur für Introvertierte gilt mein Motto „Nie mehr verbiegen!“, sondern auch für dich als ambivertierter Mensch.

Suche Gleichgesinnte

Sicher hast du sowohl Introvertierte als auch Extrovertierte in deinem Freundes- und Bekanntenkreis. Ich lege dir aber ans Herz, dich auch nach anderen Ambivertierten umzuschauen.

Wenn man Menschen kennt, die genauso ticken wie man selbst, fühlt man sich oft weniger allein.

Außerdem könnt ihr euch dann über typische Ambi-Probleme austauschen. Das ist so wertvoll und wird dir sicher guttun.

Nimm deine Bedürfnisse wahr

Beobachte dich genau: Welche Bedürfnisse hast du? Wann brauchst du Rückzug, wann eher Gesellschaft?

Vielleicht hilft es dir, ein Journal zu führen, in dem du deine Beobachtungen und Gefühle aufschreibst. Das kann dich dabei unterstützen, dich selbst besser kennenzulernen.

Manage deine Energie individuell

Dazu gehört auch, dass du deine Energiebooster und Energievampire identifizierst. Auch hier empfielt es, sich deine Gedanken und Erfahrungen aufzuschreiben.

Du könntest dir etwa eine Liste anlegen mit Dingen, die dir Energie spenden und Situationen, die dich eher Energie kosten.

Hier ein paar Beispiele für allgemeine Energiebooster:

  • in der Natur spazieren gehen
  • dich in der Nähe von Gewässern aufhalten
  • Zeit allein verbringen
  • Zeit mit Menschen verbringen, die du liebst
  • auf ein Event gehen und neue Leute kennenlernen
  • Buch und Sofa
  • ein Bad nehmen
  • ein leckeres Essen kochen und genießen
  • Zärtlichkeiten mit deinem Lieblingsmenschen austauschen
  • einen Filmabend veranstalten * oder ins Kino gehen
  • mit jemandem ein neues Restaurant oder Café ausprobieren
  • Brieffreundschaften pflegen
  • Musik hören * und wild durch die Wohnung tanzen
  • ein Schläfchen machen
  • Sport treiben

Und hier noch ein paar Beispiele für Dinge, die dir Energie ziehen könnten:

  • Menschenmengen
  • unfreiwillig allein sein (Stichwort: Einsamkeit)
  • zu viel Zeit unter Fremden verbringen
  • zu wenige Pausen einlegen
  • übermäßiger Konsum von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln
  • mit Menschen diskutieren oder sogar streiten
  • zu heißes Wetter
  • zu düsteres Wetter (z. B. im Winter)
  • zu üppige oder karge Mahlzeiten
  • zu viel oder zu wenig Schlaf

Na, bist du ambivertiert?

Jetzt bin ich natürlich neugierig, ob du dich in diesem Artikel wiedererkannt hast. Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.

Fassen wir zum Schluss noch einmal zusammen:

  • Niemand ist 100 % introvertiert oder extrovertiert, sondern wir befinden uns alle auf einem Spektrum.
  • Ambiversion liegt zwischen den Extremen Intro- und Extraversion.
  • Sie ist nichts Außergewöhnliches und auch keine Unentschlossenheit.
  • Unser Grad an Intro-, Extra- oder Ambiversion kann schwanken.
  • Ambivertiert zu sein hat viele Vorteile, z. B. im Arbeitsleben.
  • Auch als ambivertierter Mensch ist es wichtig, dass du dich nicht verbiegst, sondern dein Temperament schätzen lernst und dich so liebst und annimmst, wie du bist.

Ich hoffe, du konntest aus diesem Artikel etwas Nützliches für dich ziehen. Wenn ja, freue ich mich jederzeit über ein kleines Trinkgeld auf Ko-fi. Oder vielleicht kennst du jemanden, den oder die dieser Artikel oder mein Blog interessieren könnte. Dann erzähle der Person gerne davon. 💛

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Alles Liebe
Mim ✌🏻

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10 Kommentare

  1. Danke für den tollen Artikel. Besonders gefallen hat mir „Musik hören * und wild durch die Wohnung tanzen“ habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Irgendwie hängt man in Projekten fest und der Spaß am Leben bleibt Samstagnacht um drei Uhr auf der Strecke. Dreißig Jahre jünger war man um diese Zeit in einem Club, heute versucht man „herunterzukommen“.

    Ich habe mir für die nächsten Stunden https://www.youtube.com/watch?v=FcTQZYwHlWg aus gesucht und werde meine „Mitbewohner und Nachbarn“ überraschen 😉

    Viele Grüße

    Ralf

    1. Haha, ja, ich hab das auch schon länger nicht mehr gemacht. Wünsche dir viel Spaß dabei, aber pass auf, dass die Nachbarn nicht die Polizei rufen. 😀

      Viele Grüße
      Mim

  2. Liebe Mim,ich möchte einfach, dass du mich Claudia nennst und nicht „Claudia Heinig.“ Wünsche dir einen schönen Tag und danke für deine Mühe hier. Es ist für mich nicht selbstverständlich. ❤

    1. Liebe Claudia,

      ach, du meinst im Newsletter? Alles klar, hab ich geändert. Zukünftig müsste da nur noch „Claudia“ stehen. 🙂
      Und sehr gerne. Danke dir für dein liebes Feedback. 💛

  3. Da schließe ich mich Claudia an. Nenn mich auch einfach Werner im Newsletter. Aber: Heißt es nicht besser, dass dir die Energie entzogen statt gezogen wird? Klingt so nach Zahnziehen. Es ist der erste Newsletter, den ich von Dir bekomme, und er gefällt mir. Gibt mir durchaus zu denken, wer ich bin!

    1. Alles klar, Werner. Hab ich so geändert mit dem Namen.

      Ja, du hast recht, das Wort „entzogen“ passt besser. Danke für den Hinweis und deinen Kommentar.

      Viele Grüße
      Mim

  4. Hallo Mim,
    danke für diesen Text! Im Grunde trifft alles Beschriebene auf mich zu. Ich bin also ambivertiert. Es ist immer entlastend, einen Namen und damit teilweise eine Antwort für innere Fragezeichen zu haben. Ich finde es besonders herausfordernd, sich mit so gegensätzlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten selbst gerecht zu werden, authentisch zu sein.
    Liebe Grüße, Noah

    1. Hallo Noah,

      danke für deinen Kommentar. Freut mich, dass du dich darin wiedererkannt hast. Ja, es ist immer sehr beruhigend zu wissen, dass es für das eigene Erleben eine Bezeichnung gibt. Geht mir genauso. 🙂

      Das kann ich verstehen, dass das schwierig ist, die beiden Temperamente auszubalancieren. Ich denke, ein wichtiger Punkt dabei ist, dass man sich selbst kennenlernt und so besser einzuschätzen weiß. Denn nur, wenn man weiß, wie man selbst tickt, kann man sich daran machen, zu überlegen wie man seinem bunten Mix an Bedürfnissen selbst gerecht werden kann. Also, das ist zumindest meine Einschätzung. Wie siehst du das?

      Liebe Grüße
      Mim

      PS: Um mich selbst besser kennenzulernen, hilft mir Journaling ganz gut. Vielleicht ist das ja auch was für dich? Hast du das schon mal ausprobiert?

      1. Hallo Mim,
        die eigenen Anteile zu kennen halte ich auch für essentiell. Schwer genug, auch zunächst alles gleichermaßen ernst zu nehmen, was sich zeigt. Gerade für Letzteres ist Journaling sicher günstig. Ich werd`s mal ausprobieren.
        Liebe Grüße, Noah

        1. Hallo Noah,

          dann wünsche ich dir viel Spaß und Erfolg dabei. 🙂 Hab vor, zum Thema Journaling auch noch ein paar Beiträge zu veröffentlichen.

          Wir lesen uns!
          Liebe Grüße
          Mim

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