Zeilen an mein Teenie-Ich

Links die Aufschrift: Zeilen an mein Teenie-Ich: Eine Reise in die Vergangenheit. Rechts das Foto einer Hand, die ein Bild hält, auf dem Mim Gaisser als Teenager zu erkennen ist.

Dem Teenie-Ich schreiben. Einmal zurückblicken und mich selbst unterstützen. Ja, das habe ich in Gedanken schon oft getan. Aber nie habe ich es so niedergeschrieben, wie heute. Es brauchte viel Kraft und Reflexion, meine Gefühle in Worte zu fassen. Dennoch habe ich es getan – der vorliegende Blogartikel ist das Ergebnis. Er ist deutlich kürzer als meine sonstigen Blogartikel, aber dafür so persönlich, dass es mir schwerfiel, den „Veröffentlichen“-Button zu drücken.

Entstanden ist dieser Beitrag anlässlich der „Teenie-Ich Zeitreise“-Blogparade von Lorena Hoormann. Wenn du auch mitmachen möchtest, kannst du das noch bis zum 7. November 2022 tun.

Den ersten Entwurf schrieb ich zudem bei der 23. Blognacht von und mit Anna Koschinski.

Triggerwarnung: Depression, Angst, SVV, Psychiatrie

Mann ey, die Schule war heute wieder anstrengend. So viele Leute um mich herum, so viele Eindrücke und dann noch permanent der Druck, den anderen zu gefallen und mehr aus mir rauszukommen. Ich geh in der Klasse total unter. Niemand interessiert sich für mich, keiner will etwas mit mir zu tun haben. Weil ich leise bin und mit niemandem rede. Zumindest glauben das alle.

Und einen Freund hatte ich auch noch nicht. Kein Wunder, wer will schon so einen Freak wie mich? Ich bin nicht so wild und laut wie die anderen, verbringe meine Wochenenden zu Hause am Computer, anstatt mich auf Partys oder in Bauwägen zu besaufen. Ich hab montags keine lustigen Geschichten darüber zu erzählen, wie XY besoffen ins Gebüsch gekotzt hat. Überhaupt denken alle, ich sei stinklangweilig. Bin ich das wirklich?

Warum kann ich nicht so sein, wie die anderen? Was läuft falsch mit mir? Mensch, ich will doch nur dazugehören!

So ähnlich hat mein Teenie-Ich gedacht. Ich war depressiv, unglaublich ängstlich und hatte das Gefühl, nicht liebenswert zu sein.

Ein stummer Schrei nach Liebe

Einst war ich pflegeleicht gewesen. Kein Schreibaby, ein Kind, das ständig lächelte und sich anpasste. Meine Mutter machte sich lediglich Sorgen, weil ich nie mit anderen Kindern spielen wollte. Aber das war kein Vergleich mit dem, was auf sie zukam, als ich pubertierte.

Was keiner wusste: Schon als Kind hatte ich das Gefühl, nicht so wertvoll zu sein wie die Anderen. Dies schleppte ich weiter in mein Teenager-Alter, wo es schließlich zu einem Berg anschwoll, der mich komplett daran hinderte, mich selbst so anzunehmen, wie ich war.

Ich wollte Aufmerksamkeit, weil ich diese mit Anerkennung und Liebe gleichsetzte. Aber ich bin kein Mensch, der viel redet. Deshalb rebellierte ich eher im Verborgenen. Meine Gedanken wurden immer düsterer und damit auch meine Kleidung. Ich fand Halt in lauter, aggressiver Musik. Gegenüber meinen Eltern war ich aufmüpfig und frech. Wir stritten uns ständig über Kleinigkeiten.

Mit vierzehn tat ich mir selbst weh. Ein stummer Hilferuf, der in einer Therapie endete. Mit sechzehn dann der erste Freund. Die Beziehung zerbrach nach zwei Monaten und ich war fertig mit der Welt. Das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, war stärker, als je zuvor. Mein psychischer Zustand verschlechterte sich rapide und ich landete in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Da saß ich nun, ängstlich, verzweifelt, mit Gittern vor den Fenstern und hatte viel Zeit zum Nachdenken.

Mim Gaisser schwarz gekleidet als Teenager mit fünfzehn Jahren
Ich mit fünfzehn Jahren

Liebes Teenie-Ich …

Ganz ruhig, Liebes, ganz ruhig. Alles wird gut.

Schau, jeder Mensch ist besonders, auf seine ganz eigene Art. Auch du. Deshalb brauchst du dich nicht zu verstellen oder zu ändern. Du bist wertvoll. Ganz egal, was deine Selbstzweifel dir einreden wollen. Hab Acht auf dich und sei gut zu dir. Du hast nur dieses eine Leben sicher, alles, was danach kommt, ist ungewiss.

Verzweifelt suchst du im Außen nach Aufmerksamkeit, aber weißt du was? Wahre Anerkennung kommt von innen. Sie steckt bereits tief in deinem Herzen verborgen und du darfst sie herauslassen und dich so annehmen und lieben, wie du bist. Und niemand kann dir das nehmen. Die anderen Teenies schon gar nicht. Komm her, lass dich mal fest drücken.

Ich weiß, dir fällt es im Moment schwer, an das Gute im Leben zu glauben. Aber vertrau mir, es geht immer irgendwie weiter. Auf deinem Weg werden noch einige Holpersteine kommen, Zeiten, in denen du dich schrecklich allein und unzulänglich fühlst. Aber du wirst sie überwinden und du wirst gestärkt daraus hervorgehen, so platt das auch klingt.

Du wirst Menschen finden, die dir zur Seite stehen und dich durch die harten Abschnitte begleiten. Du wirst kämpfen müssen – aber nicht mehr gegen dich selbst, sondern für deine Ziele und Träume. Für das Leben. Für die Freiheit.

Ich liebe dich. Und das wird immer so bleiben.

Und raus damit …

Uff! Geschafft!

Diese Worte an mein Teenie-Ich zu richten, ist mir schwergefallen. Trotzdem schicke ich diesen Blogpost in die Welt hinaus. Mit einem Grummeln im Magen und einem pochenden Herzen. Aber gleichzeitig auch einem Gefühl der Leichtigkeit und des Glücks, weil ich mich befreit und versöhnt fühle.

Ich glaube, diese Worte hätten meinem Teenie-Ich wirklich weitergeholfen. Und ich bin so dankbar, dass ich heute in der Lage bin, diese Worte an mich zu richten.

Wenn du, liebe Seele da draußen, auch Schwierigkeiten in der Vergangenheit hattest (egal ob in der Teenie-Zeit, Kindheit oder noch vor einem Jahr), kann ich dir nur empfehlen, das auch auszuprobieren. Schreib dir selbst ein paar liebe Zielen.

Du musst es nicht veröffentlichen. Mach’s für dich, auf hübschem Briefpapier oder in dein Journal.

Oder nimm ebenfalls an Lorena Hoormanns Blogparade teil.

Es bewirkt etwas. Ich wünsche dir, dass du das auch spürst.


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6 Kommentare

  1. Liebe Mim,
    lieben Dank für Deine Gedanken zu meinem Blogbeitrag. Jetzt habe ich gerade Deinen gelesen und bin sehr berührt. Dass es Dir schwer fiel, den Veröffentlichen-Button zu drücken, kann ich gut verstehen. Es ist nochmal was ganz anderes, alles ins Tagebuch zu schreiben. Das hier auf dem Blog hat eine andere Präsenz.

    Du hattest gefragt, ob ich introvertiert bin: Ja! Hätte ich das schon früher gewusst, dann wäre vieles anders, leichter und entspannter gelaufen. Ja, ich hatte eine schöne Kindheit, ich würde sie als normal bezeichnen. Wenn man davon absieht, dass wenig Zeit für uns Kinder war und ich erst mit über 20 gelernt habe, wirklich über mich und das, was mich bewegt, zu reden. Glaub mir, ich hatte auch eine ganze Menge schmerzhafter Themen im Lebensrucksack, aber das würde ganze Bücher füllen, wie bei Dir vermutlich auch. Ich war übrigens auch ein pflegeleichtes Kind. Ich war still, schüchtern und hoch anpassungsfähig.

    Danke für Deine Offenheit und ganz liebe Grüße,
    Marita

    1. Hallo Marita (schöner Name übrigens),

      vielen Dank für dein Feedback.

      Ja, wir haben alle unsere Päckchen zu tragen. Niemand ist vor leidvollen Erfahrungen gefeit, aber das ist oft auch notwendig, damit wir wachsen und uns weiterentwickeln.

      Meine Kindheit war auch eher normal. Erst mit Beginn der Pubertät ging es mir immer schlechter. Aber ich durfte viel lernen und dafür bin ich von Herzen dankbar.

      Übrigens freut’s mich, dass du auch introvertiert bist. Ist immer schön, andere Introvertierte kennenzulernen. 🙂

      Danke für deine Zeilen zu meinem Artikel.

      Ganz liebe Grüße
      Mim

  2. Liebe Mim!
    Wow, ich bin tief bewegt über deine Offenheit, deinen Mut auf den Veröffentlichen-Button zu drücken und danke für die sehr berührenden Worte. Auch mein Teenie-Ich hat sich sehr gut verstanden gefühlt beim Durchlesen. Danke, dass ich Dein Teenie-Ich und Dich hier kennenlernen durfte!
    Liebste Grüße, Lorena
    P.s.: Holpersteine, was für ein geniales Wort!

    1. Hallo Lorena,

      vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Es freut mich, dass dir mein Beitrag gefallen hat. Ja, es war eine Mutprobe, ihn zu veröffentlichen, aber ich bin froh, dass ich es getan habe. Und ja, Holpersteine ist ein tolles Wort, nicht? 🙂

      Liebste Grüße
      Mim

  3. Hallo liebe Mim,
    deine Zeilen an dein Teenie-Ich, sind mit das Berührenste, was ich gelesen habe, und ich habe mich darin selbst wiedererkannt, als ich ein Teenager war. Mir erging es ähnlich. Und über einen sehr steinigen und langem Weg, habe ich mich davon ganz gut befreien können, aber ich weiß auch, dass mich diese Erfahrungen der Schulzeit zeitlebens begleiten.
    Jeder dauerhafte Erfolg ist harte Arbeit, und du kannst auf dich sehr stolz sein.
    Liebe Grüße 😊

    1. Oh, das tut mir leid zu hören, dass du ähnlich schwierige Erfahrungen machen musstest, Thomas.

      Aber du hast recht: Jeder dauerhafte Erfolg ist harte Arbeit. Und an dem Satz „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ ist auch was Wahres dran …

      Danke für deinen Kommentar.

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